Zu Gast in fremden Welten
Wenn wir ein Museum besuchen, befolgen wir dabei meist einen festen Rhythmus: Zunächst betreten wir das Museum und kaufen uns eine Eintrittskarte. Bevor wir uns allerdings in den Ausstellungsräumen wiederfinden, müssen wir noch schnell unsere Wertsachen in den Schließfächern verstauen, damit wir die Exponate nicht versehentlich beschädigen. Jetzt erst kann die Erkundungsreise beginnen! So oder so ähnlich starten für gewöhnlich Museumsbesuche, doch es geht auch anders, unkomplizierter! Nämlich dann, wenn man Gast eines virtuellen Museums ist.
Ran an den Schreibtisch, Computer an, ins Internet und schon geht’s los! Wobei virtuelle Museen über Smartphones und Co. von überall zugänglich sind. Die Standortungebundenheit scheint mir als eines der großen Vorteile virtueller Museen. Und das nicht nur im Hinblick auf die Stichworte Inklusion und Barrierefreiheit. Auch lange Anfahrtswege entfallen, ebenso wenig spielen Öffnungszeiten eine wesentliche Rolle und auch die Menschenmassen vor den Museumshighlights lösen sich schlichtweg in Luft auf. In einem virtuellen Museum können wir uns die Zeit nehmen, die wir brauchen und dabei die digitalen Exponate beispielsweise ganz entspannt vom Sofa aus betrachten.
Ein Digitalisat allein macht noch kein virtuelles Museum!
Aber einfach nur die Museumsbestände zu digitalisieren, reicht nicht aus, um ein virtuelles Museum zu schaffen. In diesem Fall wäre höchstens von einem digitalen Museum die Rede – hinter einem virtuellen Museum jedoch steckt viel mehr! Genau wie in herkömmlichen Museen, werden in virtuellen Museen Exponate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und präsentiert. Doch im Unterschied dazu, ist das virtuelle Museum an keinem Ort der Welt wirklich real verortet. Vielmehr existiert es – wie der Name schon sagt – ausschließlich virtuell. Ein virtuelles Museum ist einer Art Schatzkammer gleichzusetzten, welche in ihren virtuellen Museumsräumen Dinge vereint, die in der Realität so nicht aufeinandertreffen oder erfahrbar sind.
Bleiben wir beim Vergleich herkömmlicher mit virtuellen Museen, ist die Art der Objektpräsentation ein wesentlicher Unterschied. Wird der Fokus räumlich verorteter Museen vorrangig auf die Präsentation der Originale gelegt, so treten bei virtuellen Museen vor allem zusätzliche Vermittlungs-, Interaktions- und Partizipationsangebote in den Vordergrund. Ein virtuelles Museum will dezidiert nicht nur die Exponate präsentieren. Denn das ist klar: Eine bloße Abbildung kann nie so spannend sein, wie das Original selbst. Vielmehr können in einem virtuellen Museum Welten geschaffen werden, die in einem gewöhnlichen Museum und in der Realität zumeist verborgen bleiben. Das ist das Ziel virtueller Museen.
So ist es denkbar, dass Besucher beispielsweise im Rahmen eines virtuellen Museums unkompliziert Zugang zum Depot erhalten und so Bereiche betreten, die sonst unzugänglich bleiben. Den Interaktionsaspekt weitergedacht, wäre es hier möglich, die virtuellen Objekte dank 3D-Technologie genauer unter die Lupe zu nehmen: Sie virtuell „anzufassen“, sie nach Belieben zu drehen, die Rückseite zu betrachten, mit anderen Werken zu vergleichen und dort auch virtuell mit Kollegen zu diskutieren, die zur gleichen Zeit körperlich an einem anderen Ort sind sind… In einem virtuellen Museum gibt es keine Grenzen! Das virtuelle Museum erschafft eine eigene, eine neue Welt.
Ein wesentlicher Aspekt ist, dass sich das virtuelle Museum nicht nur auf einen Animationsfilm beschränkt, der kontinuierlich abläuft und auf diese Weise den Nutzern fremde Welten präsentiert, sondern, dass der Nutzer seinen Weg selbst bestimmt und aktiv in das gegenwärtig Erlebte eingreifen kann. So der Wunsch. In den Computerspielen ist dies schon Realität. Hier können die Spieler auf täuschend echte Art unerreichbare Dimensionen und neue Welten erkunden. Wieso sollten wir das nicht auch für die Vermittlung, gar als Forschungsraum nutzen?
Gerade in diesem Moment, Welten zu erzeugen, liegt der Mehrwert eines virtuellen Museums. Es bietet neue Formen der Kommunikation, Partizipation und Interaktion, welche ein konventionelles Museum nicht verdrängen aber hervorragend ergänzen werden.
Achtung: Jetzt wird’s virtuell!
Virtuelle Museen stecken noch in den Kinderschuhen. Und es gibt auch einige Zweifler, die sich fragen, ob ein virtuelles Museum überhaupt den Museumsstandards wie Ausstellen, Forschen, Vermitteln, Sammeln und Bewahren gerecht werden kann? Eine kleine Auswahl aktueller Beispiele soll deshalb zeigen, dass virtuelle Museen durchaus Potenzial haben, diese Standards zu erfüllen.
Lustwandeln in Dalís Bildern
Anlässlich der Sonderausstellung „Disney und Dalí: Architects of Imagination“ im Dalí-Museum in St. Petersburg/Florida, übte sich Disney an einem besonderen Experiment: Mit Hilfe von Virtual Reality und einer dazugehörigen Brille kann man in DalÍs Kunstwerk „Eine archäologische Reminiszenz des »Angelus« von Millet“ aus dem Jahre 1935 eintauchen und sich den Bildgegenständen nähern. Auf völlig neue Art kann so Kunst erkundet sowie vermittelt werden und dies ausschließlich als Teil einer virtuellen Präsentation.
Auf Entdeckertour durch die Sonderausstellung „200 Jahre Krupp. Ein Mythos wird besichtigt“ des Ruhr Museums in Essen.
Zwar war die Sonderausstellung in den Jahren 2012–2013 tatsächlich räumlich verortet, nun sieht es in den Museumsräumen des Ruhr Museums aber schon wieder ganz anders aus. Mit Hilfe einer hochauflösenden 3D-Fotodokumentation ist die Ausstellung jedoch nach wie vor erlebbar. Angereichert mit zahlreichen Audio- und Videobeiträgen bietet die virtuelle Ausstellung so schon einiges an Mehrwert. Vor allem ist aber hervorzuheben, dass auch eine für VR-Brillen konzipierte Version bereitsteht, die das Museumserlebnis nochmal ganz anders vergegenwärtigt. Einer selbstbestimmten Entdeckungsreise durch die Ausstellung steht also nichts im Wege.
http://www.ein-mythos-wird-besichtigt.de/
Anne Franks Versteck im Hinterhaus
Wer schon einmal das Hinterhaus in Amsterdam besucht hat, in dem sich Anne Frank zu Zeiten des Nationalsozialismus versteckt hielt, weiß, dass dort keine Möbel stehen. Ganz anders in der Online-Version. Durch diesen Zusatz wird aus einem digital begehbaren Museum ein virtuelles Museum, weil es virtuell eingerichtet ist. Zudem ist die Version durch zahlreiche Vertiefungsebenen in Form von Texten, Audiobeiträgen und Fotos angereichert. Ein weiterer Unterschied zu den realen Ausstellungsräumen: Auch Räume, die in Amsterdam nicht zugänglich sind, öffnen hier ihre Pforten.
http://www.annefrank.org/de/Subsites/Home/Betritt-das-3D-Haus/#/house/start/
Nur das Beste ist gut genug!
Ungeachtet der Zweifel über virtuelle Museen haben die Ausführungen und Beispiele gezeigt, dass es möglich ist, in einem virtuellen Museum zusätzliche Angebote zu schaffen, wie es in einem analogen Museum niemals möglich sein wird. Meiner Meinung haben virtuelle Museen allein deshalb ihre Daseinsberechtigung: Weil sie Chancen und Möglichkeiten über die Abbildung der Originale hinaus bieten und auf diese Weise Mehrwerte schaffen. Eines muss dabei aber dringend bedacht werden: Ein virtuelles Museum muss sehr gut – nein, genauer gesagt perfekt – aufbereitet sein! Denn wenn das Bild wackelt, das virtuelle Museum dem Besucher nur wenig Information oder Interaktion bietet, die Steuerung kompliziert oder die Idee an sich noch nicht hundertprozentig ausgereift ist, verlassen die Besucher das virtuelle Museum genauso schnell, wie sie es betreten haben. Schließlich muss hier keiner erst noch die Wertsachen aus dem Schließfach abholen.
Verfasserin dieses Beitrags

Carolin Ayasse
Der Beitrag Virtuelle Museen – Museumsbesuch mal anders! erschien zuerst auf Pausanio GmbH & Co.KG.