…oder vielmehr: Vor wem könnte man hier eigentlich Angst haben?
Vor Google, Facebook und Co. natürlich!
Wer soziale Medien oder gar Messenger-Dienste wie WhatsApp nutzt, willigt darin ein, dass seine Daten auf Servern in den USA gespeichert werden und dort zu kommerziellen Zwecken weiterverwendet werden dürfen. Doch es sind in den meisten Fällen nicht nur die eigenen Daten. Um z. B. WhatsApp nutzen zu können, muss ein User dem Unternehmen zunächst auch jede Menge Daten von Dritten zur Verfügung stellen, denn die Software benötigt Zugriff auf die Telefonnummern der gesamten Kontakte, die auf dem Smartphone gespeichert sind. Laut AGBs darf WhatsApp diese Daten zu kommerziellen Zwecken verwenden. Das ist datenschutzrechtlich ein riesiges Problem.
Grund genug für das Amtsgericht Bad Hersfeld in einem familiengerichtlichen Beschluss zu fordern, dass schriftliche Einverständniserklärungen aller Menschen einzuholen seien, die ein minderjähriger Nutzer in der Kontaktdatenbank vorhält, wenn er diese WhatsApp zur Verfügung stellen möchte. Dies gelte als Auflage für Eltern zur Überwachung der Smartphone-Nutzung ihres minderjährigen Kindes. What?
Zur Klarstellung: Natürlich ist die ungefragte Weiterhabe von Daten juristisch wie ethisch ein Problem. Aber ohne dies zu tun verweigert WhatsApp die Nutzung der Software. Es verstößt also mit hoher Wahrscheinlichkeit so ziemlich jeder WhatsApp-Nutzer gegen das Datenschutzgesetz, wenn er keine schriftliche Einverständniserklärung hat.
Einverständniserklärungen zu fordern ist netter Versuch, aber in vielerlei Hinsicht weltfern und katastrophal. Denn wenn die AGBs von WhatsApp zum illegalen Handeln zwingen, sind zunächst die AGBs ein Problem.
Der Beschluss bedeutet damit de facto das Ende des digitalen Austauschs für Minderjährige. Denn wer bitte schön macht und schafft es ernsthaft, diese Auflage zu erfüllen, wenn man WhatsApp richtig nutzen möchte? Und der Beschluss müsste grundsätzlich ja nicht nur WhatsApp betreffen, denn sobald ich meine Daten überhaupt auf einem Smartphone speichere, habe ich sie ja bereits an Google, Apple o.ä. weitergegeben. Ähnlich bei der Nutzung einer Adressverwaltung auf dem Rechner, wenn dieser an eine Cloud angebunden ist. Immer dann gebe ich diese Daten weiter.
Und warum sollte das nur für Minderjährige ein Problem sein? Natürlich haften Eltern für ihre Kinder und könnten durch eine schriftliche Einverständniserklärung eine mögliche Klage umgehen. Aber das Problem ist in seinem Grundsatz dadurch ja nicht vom Tisch. (Siehe auch die Diskussion auf Twitter.)
Und ein bisschen Angst vor Veränderungen!
Interessanterweise ging es in dem Urteil nicht primär darum, dass Daten in die USA, also ins Ausland weitergegeben werden, sondern dass Daten grundsätzlich weitergegeben werden. Man kann den Eindruck haben, eine der Hauptängste sei es, dass die Daten in die Hände von Unternehmen gelangen, die damit auch noch Geld verdienen möchten. Unvorstellbar in Zeiten, in denen im Internet scheinbar alles kostenlos ist…
Und in diesem Punkt zeigt der Beschluss des Amtsgerichts Bad Hersfeld die gesamte Absurdität des deutschen Umgangs mit dem digitalen Wandel. Deutschland möchte als große Industrienation zwar ganz vorne mit dabei sein, kann aber nicht ein einziges weltweit bedeutendes Unternehmen vorzeigen, das den digitalen Wandel aktiv mit gestaltet. Datenweitergabe bedeutet in Deutschland daher fast immer die Weitergabe ins Ausland. Es geht in dem Beschluss also doch auch um die USA.
Natürlich wird der digitale Wandel in Deutschland nicht dadurch beschleunigt und diese Situation nicht dadurch verbessert, dass ich Kontaktdaten von Dritten an WhatsApp weiterleite. Aber es führt uns einmal wieder vor Augen, dass es in Deutschland einiges aufzuholen gibt. Nicht nur den Datenschutz. Denn schriftliche Einverständniserklärungen zu fordern und die Nutzer für die AGBs von WhatsApp verantwortlich zu machen, können ja nicht die Lösung sein.
Und so ist dieser Beschluss nicht nur ein Zeigefinger, der schuldzuweisend auf Datenkraken zeigt. Dieser Finger zeigt uns auch diejenige, die mit ihm zeigt: Eine weit verbreitete kritische Haltung gegenüber Veränderungen. Eine unbestimmte Angst, nicht mehr Herr im Hause zu sein, wenn Unternehmen die eigenen Daten auswerten. Eine Angst vor gläsernen Bürgern, die von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden. Eine Angst davor, dass diese Daten in die falschen Hände gelangen könnten.
Wie kann man dieser Angst begegnen? Zum einen müssen wir uns vernünftige Gedanken über den Datenschutz machen, denn natürlich gibt es vieles, was dort im Argen liegt. Zum anderen braucht es aber auch Bildung und die Erziehung zu digital mündigen und reflektierten Bürgern. Ob der Beschluss des Amtsgerichts, der faktisch das Ende der Nutzung von digitalen Diensten für Minderjährige bedeutet, dafür hilfreich ist, möchte ich zumindest bezweifeln.
Aber der Beschluss ist noch vor einem weiteren Hintergrund absurd. Denn er fällt in eine Zeit, in der nicht nur Unternehmen an großen Datenmengen interessiert sind.
Aber Angst haben wir doch nicht vor der Regierung!
Der deutsche Bundestag hat letzte Woche Donnerstag mir nichts dir nichts im Eilverfahren ein Gesetz beschlossen, das jedem klar denkenden Nutzer von digitalen Kommunikationsgeräten noch sehr viel mehr den Atem gefrieren lassen müsste. Es ist vielleicht das weitreichendste Überwachungsgesetz der bundesdeutschen Geschichte und hat das Potenzial, Horrorszenarien wie aus 1984 und den feuchten Traum eines jeden Stasi-Beamten Wirklichkeit werden zu lassen. Es geht um den sog. Staatstrojaner: die Möglichkeit für deutsche Geheimdienste, Spähsoftware auf den Geräten von Nutzern zur totalen Überwachung zu installieren.
Nur fürs Verständnis: Verschlüsselte Daten, wie die Kommunikation bei Anbietern wie WhatsApp, die nicht einmal von den entsprechenden Unternehmen selbst gelesen werden können, können zukünftig bereits vor der Verschlüsselung von deutschen Geheimdiensten abgesaugt werden. O’zapft is beim BND! Die Party kann losgehen.
Und was dabei mindestens genauso schlimm ist: Der Widerstand und der öffentliche Aufschrei gegen das Gesetz ist im Vergleich zu seiner Tragweite so erschreckend leise, dass man den Eindruck haben könnte, der im Umgang mit WhatsApp und Google so oft öffentlich beschworene Datenschutz und die Privatsphäre seien bierselig und händchenhaltend am Horizont der Bedenkenlosigkeit in der Abenddämmerung verschwunden. Klar, die großen Zeitungen schreiben darüber, gerne mit dem Hinweis darauf, dass das Gesetz wohl derart verfassungsfeindlich ist, dass es keinen langen Bestand haben wird. Aber das gilt es abzuwarten.
Was, wenn nicht Geheimdienstaktivitäten dieser Art, könnten denn die oft genannten „falschen Hände“ sein?
Was, wenn nicht eine unkontrollierbare staatliche Überwachung durch Spähsoftware, macht uns zu gläsernen Bürgern? Dass Geheimdienste unkontrollierbar sind, haben sie uns in den vergangenen Jahren ausreichend bewiesen.
Einverständniserklärung
Liebe mir bekannten Minderjährigen,
meine lieben Kinder,
ich erteile Euch hiermit die Erlaubnis, meine Kontaktdaten an WhatsApp zu übermitteln, und freue mich auf den regen Austausch mit Euch.
Liebe Nachrichtendienste,
ich widerspreche hiermit der Nutzung meiner Daten und Kommunikationsinhalte, an die Sie möglicherweise durch Maßnahmen gelangen konnten, die durch das sog. „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ ermöglicht wurden.